Mehr Demokratie durch Digitalisierung? Bürger*innen im Dialog zur Tübinger Bürgerapp
Laura Schelenz, Universität Tübingen
Am 5. März 2020 diskutierten Interessierte aus der Politik, Praxis und Wissenschaft mit Bürger*innen über die 2019 eingeführte Tübinger Bürgerapp. Digilog@bw war vor Ort durch Projektmitarbeiterin Laura Schelenz vertreten. Sie hielt einen Impulsvortrag und wirkte als Teilnehmerin an der Diskussion mit.
Mit der Bürgerapp möchte die Stadt Tübingen Bürger*innenbeteiligung an demokratischen Prozessen fördern. Ganz konkret können die User der App ihre Meinung zu ausgewählten politischen Themen abgeben. In den bislang durchgeführten zwei Abstimmungen wurden Präferenzen zum Bau eines Hallenbads und der Sperrung einer Straße zugunsten des Fahrradverkehrs abgefragt. Die Ergebnisse dienen dem Gemeinderat als Stütze bei der Entscheidungsfindung. Die Diskussion mit den Expert*innen und Bürger*innen hat ein eher kritisches Bild der App gezeichnet. Während es natürlich zu begrüßen ist, dass die Stadt grundsätzlich ein Interesse an Bürger*innenbeteiligung hat, gibt es Bedenken zur Einführung einer App.
Zunächst gibt es konkrete Mängel an der App, wie die unzureichende Barrierefreiheit. Menschen mit Sehschwäche und blinde Menschen können die App aufgrund ihres Designs kaum nutzen. In einem Test der App bei der Veranstaltung vor Ort zeigte sich, dass die Schrift verzerrt dargestellt wird, wenn man sie über Zoom vergrößert. Die Schriftfarbe vor der Hintergrundfarbe verunmöglicht es Menschen mit Farbsehschwäche, die Ergebnisse zu lesen. Blinde Menschen, die sich mithilfe einer Software den Inhalt der App vorlesen lassen, können den Darstellungen der Ergebnisse nicht folgen. Hier stellt sich also die Frage nach einer gleichberechtigten Beteiligung an den App-Umfragen. Wer wird von einer Teilnahme ausgeschlossen und wie wirkt sich das auf die Ergebnisse aus?
Ein weiteres Problem betrifft die Wahrnehmung der App in der Bevölkerung und im Gemeinderat. Bei der Präsentation der Abstimmungsergebnisse auf ihrer Webseite spricht die Stadt Tübingen von „Wahlbeteiligung“. Dies ist irreführend, da es sich nicht um eine Wahl, sondern um eine nichtverbindliche Abstimmung handelt, wie die Stadt an anderer Stelle sagt. Auch könnten die Bürger*innen und Gemeinderäte in ihrer Einordnung der Eingebnisse verwechseln, dass es sich hier nicht um einen Bürger*innenentscheid, sondern um eine angeordnete Befragung „von oben“ handelt. Die Themen sind also von der Stadt gesetzt und betreffen nicht zwangsläufig die Fragen, welche die Bürger*innen umtreiben.
Zuletzt stellt sich auch die Frage, wie sinnvoll und notwendig eine digitalisierte Umfrage unter den Bürger*innen überhaupt ist. Digitalisierungsbemühungen sind aktuell im Trend. Die Bundesregierung sowie die Landesregierung Baden-Württemberg haben Strategien zur Digitalisierung von Kommunen und Dienstleistungen des Staates entwickelt. Jedoch sollte im Zuge dieser Entwicklungen die Digitalisierung nicht zum Selbstzweck werden. Für die Tübinger Bügerapp stellt sich also die Frage, ob nicht auf anderem, mitunter günstigerem Weg die gleichen Ziele erreicht werden können. Außerdem wünschten sich einige Teilnehmer*innen der Veranstaltung mehr Investition in die Diskussion der Themen, welche zur Abstimmung per App standen. Solche Diskussionen können sicherlich auch mithilfe von digitalen Lösungen, z.B. Online-Plattformen und Podcasts, stimuliert werden. Doch Digitalisierung ist keine Pauschallösung und wenn digitale Angebote zur Förderung der Demokratie gemacht werden, sollten sie inklusiv, transparent und sicher sein.
Die Veranstaltung wurde von der Fraktion (Demokratie in Bewegung, DIE PARTEI, und Stammtisch Unser Huhn) mit Gemeinderätin Sara Gomes organisiert und am 5. März 2020 von 19 bis 22 Uhr im Deutsch-Amerikanischen Institut in Tübingen abgehalten.