Corona und die Bedeutung von Cloud-Infrastrukturen
Andreas Baur, Universität Tübingen
Als in Deutschland und vielen anderen Ländern aufgrund der Corona-Pandemie-Entwicklung das Home Office und Home Schooling zur Normalität wurde, waren häufig weder die Arbeitsumfelder, noch deren Infrastrukturen und Plattformen darauf vorbereitet. Wo trifft man sich zur Videokonferenz? Wie tauscht man Dateien und Aufgaben aus? Wie komme ich von zu Hause an die Daten, die im internen Netzwerk meines Arbeitsplatzes gespeichert sind? Neben den Fragen nach tauglichen und verfügbaren Endgeräten und ausreichend schneller Internetverbindung z.B. in einem Mehrkinderhaushalt war und ist die plötzliche Konfrontation mit Cloudlösungen und Infrastrukturen überaus präsent. Auch wenn die technischen Aspekte der Corona-Pandemie im Vergleich zu den gesundheitlichen und sozialen wohl bei weitem nicht die wichtigsten sind, sind sie dennoch eine Betrachtung wert.
Die großen Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure, Google und IBM werben gerne damit, dass ihre Lösungen flexibel mitwachsen und auch plötzliche Zugriffsspitzen elastisch durch die globale Verknüpfung ihrer Rechenzentren ausgleichen können. Kommerzielle Cloudlösungen dieser Anbieter werden nicht nur von vielen Unternehmen und Organisationen genutzt, sondern stellen auch die Basis für viele der uns bekannten Internetdienste wie z.B. auch Spotify oder Netflix dar. Diese Dienste laufen dann ganz oder teilweise auf den Servern des Cloud-Anbieters, sodass diese nicht eigene Rechenzentren oder Infrastrukturen aufbauen oder verfügbar halten müssen, was teure und aufwändige Investitionen erfordern würde.
Nun zeigte sich durch die Verschiebungen in der Pandemie zum einen, dass auch diese flexiblen und elastischen Infrastrukturen an ihre Grenzen kommen. Die Cloud ist eben nicht ein unbegrenzter geheimnisvoller Raum im Himmel, sondern sie ist genauso von materiellen, finanziellen und menschlichen Bedingungen geprägt und abhängig. Wenn es nicht genügend Serverkapazität gibt, wird auch die sonst ungreifbare Cloud sehr schnell spürbar, nämlich durch Ausfälle oder Funktionsstörungen. Ein kleines Beispiel: An den Universitäten wird gerne auf Dienste des Deutschen Forschungsnetzes (DFN) zurückgegriffen, doch dem Ansturm der Nachfrage nach Telefonkonferenzräumen und die praktische Unbenutzbarkeit derer konnte nur durch das händische Dazuschalten von weiteren Servern ein wenig entgegengewirkt werden.
Auch die großen und global agierenden Anbieter, die Kapazitäten auch über kontinentale Grenzen hinweg anbieten und umschichten können, stießen an ihre Grenzen. Die EU bat z.B. Video-Streaming-Anbieter um Auflösungsreduktion zur Entlastung der Internetleitungen – was man getrost als symbolisch und wenig notwendig bezeichnen kann. Andere Einschränkungen waren aber dennoch zu spüren: So hatte zum Beispiel Microsoft, einer der größten Cloud-Anbieter, zum einen Probleme, Speicherplatz in seiner Cloud nachzurüsten, zum anderen mussten im plötzlich mit Anfragen überhäuften Zusammenarbeits-Tool Microsoft Teams die Funktionen eingeschränkt werden, um noch erreichbar und funktionsfähig zu bleiben. Cloudinfrastrukturen unterliegen ebenso materiellen, finanziellen und menschlichen Beschränkungen, auch wenn sie gerne den Anschein einer magischen Wolke erwecken.
Darüber hinaus ist es interessant zu beobachten, wer in dieser Krise profitiert. Viele Unternehmen und Einrichtungen, wie auch die deutschen Universitäten, mussten nun plötzlich reagieren. Da sie selbst häufig nicht die Fähigkeiten oder Kapazitäten für eigene Vernetzungslösungen haben, wurden ‚en masse’ externe Tools verwendet. Häufig fiel die Wahl auf jetzt schon große und dominante kommerzielle Anbieter. Zoom, ein US-amerikanischer Anbieter von Videokonferenzen, erlebte trotz eines zweifelhaften Rufes im Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz einen Nutzungsansturm. Externe Videokonferenzdienste und Coworking-Tools, meist aus den USA, wurden in den Arbeitsablauf integriert. Häufig erschien das alternativlos.
Es wird spannend zu beobachten, was das nun für die Zukunft bedeutet: Sind die plötzlichen Anforderungen an IT-Lösungen zur Zusammenarbeit während der Pandemie ein Katalysator für weiteres Outsourcing von IT zu den großen Anbietern, weil man unter Zeitdruck nun Entscheidungen getroffen hat, die man unter anderen Umständen und unter Berücksichtigung von Datensicherheits- und Abhängigkeitsüberlegungen vielleicht nie oder anders getroffen hätte?
Oder führt die Krise und das Erleben der Notwendigkeit einer sicheren Infrastruktur zur Remote-Zusammenarbeit und gleichzeitig der Grenzen der Belastbarkeit auch von Cloud-Systemen dazu, dass man sich nicht nur auf externe Lösungen verlässt, sondern diese Infrastrukturen generell mehr wertschätzt und ihnen mehr Aufmerksamkeit und Budget innerhalb der eigenen Umgebung zukommen lässt? Dass sich Organisationen und Unternehmen überlegen, welche Infrastrukturen sie unter welchen Bedingungen benötigen, was davon sie selbst betreiben und dauerhaft vorhalten und was davon sie mieten können, und welche Sicherheitskonzepte für diese Entscheidungen relevant sind.
Auf Letzteres setzt nun sehr stark die Initiative Deutschlands und Frankreichs für ein europäisches Cloud-Ökosystem genannt GAIA-X, das zum einen europäische Cloud-Systeme forcieren möchte, zum anderen aber die sogenannte digitale Souveränität Europas stärken möchte durch eine Vernetzung und leichtere Nutzbarkeit europäischer Lösungen und Infrastrukturen. Ob diese Initiative nur ein Wolkenschloss bleibt oder ob es mithilft, technische Grundlagen unserer Gesellschaft mit der nötigen Sorgfalt und Besonnenheit zu betrachten und weiterzuentwickeln werden wir in nächster Zeit beobachten können.