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© Tracy Le Blanc

Erreichbarkeit (Internetnutzung)

Sarah Lutz und Frank M. Schneider, Universität Mannheim

Permanente Erreichbarkeit als Fluch oder Segen?

Smartphones sind für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung zum alltäglichen Begleiter geworden. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Smartphone-Nutzer*innen innerhalb Deutschlands bei 83 Prozent, bei den 14- bis 49-Jährigen waren es sogar über 90 Prozent1. Durch die Funktion des mobilen Internets ist es uns möglich, unabhängig von Zeit und Ort über das Smartphone online zu sein. Als Hauptgrund der Nutzung des mobilen Internets wurde in einer Umfrage genannt, über Messenger-Dienste wie WhatsApp mit anderen Personen zu kommunizieren2. Viele dieser Dienste bieten technische Features, durch die das Onlineverhalten der Chatpartner*innen beobachtet werden kann. So ist durch den Online-Status ersichtlich, wann diese die App geöffnet haben und potentiell auf eingehende Nachrichten reagieren können. Durch die Funktion der Lesebestätigung (zum Beispiel die „blauen Haken“ auf WhatsApp) lässt sich zusätzlich erkennen, ob Nachrichten bereits gelesen wurden.

Dies beeinflusst natürlich auch die wahrgenommenen Anforderungen an die eigene Erreichbarkeit: Während die durchschnittliche Antwortzeit auf Nachrichten in Freundschaften und Beziehungen bei 15 Minuten liegt, wird unter einer aktivierten Lesebestätigung sogar noch schneller geantwortet3. Wie von Wissenschaftlern der Universität Mannheim treffend beschrieben wurde: Heutzutage hört die Kommunikation niemals auf. Nichts ist wirklich abgeschaltet, alle bleiben untereinander und mit allem anderen, was möglicherweise wichtig sein könnte, in Kontakt4. Dies bezieht sich selbstverständlich nicht nur auf den privaten Kontext. Schließlich erfordert der Beruf eines/einer jeden dritten Berufstätigen, auch nach Feierabend, an Wochenenden und im Urlaub für berufliche Kontakte erreichbar zu sein5. Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass diese Entwicklung gleichermaßen als „Fluch und Segen“ bezeichnet werden kann.


Was bedeutet eigentlich eine permanente Erreichbarkeit?

Innerhalb der Wissenschaft wird die permanente Erreichbarkeit unter dem Überbegriff „permanently online, permanently connected (POPC)“6 untersucht. Dieser umfasst zum einen die bereits beschriebene Verhaltenskomponente, nahezu an jedem Ort und zu jeder Zeit online zu sein und mit anderen in Kontakt treten zu können. Zum anderen beinhaltet der Begriff jedoch auch eine mentale Komponente, die sich durch drei verschiedene Merkmale auszeichnet: Erstens denken Nutzer*innen, die hohe Erreichbarkeitsanforderungen verspüren, auch in Offline-Situationen häufig an ihre Online-Welt. Sie erinnern sich also beispielsweise an Nachrichten innerhalb eines WhatsApp-Chats, auch wenn sie die App in diesem Moment gar nicht nutzen. Zweitens überprüfen sie ihr digitales Kommunikationsumfeld regelmäßig und größtenteils automatisiert auf Neuigkeiten, überwachen also, ob neue Nachrichten eingetroffen sind. Und drittens sind sie dazu bereit, eingehenden Nachrichten sofort ihre unmittelbare Aufmerksamkeit zu schenken, auch wenn sie dafür andere Aktivitäten wie ein Abendessen mit der Familie unterbrechen müssen. Die permanente Erreichbarkeit manifestiert sich demnach nicht nur im Nutzungsverhalten, sondern auch in mentalen Prozessen, die bereits vor der eigentlichen Nutzung stattfinden.


Welche Auswirkungen hat die permanente Erreichbarkeit?

In bisherigen Studien7 wurden die wachsenden Erreichbarkeitsanforderungen bereits mit negativen affektiven Zuständen wie sozialem Druck, Burnout, Stress und einem verringerten Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Dabei ist auch häufig die Rede davon, dass Nutzer*innen mit der eingehenden Menge an Nachrichten nicht umgehen können und ein Gefühl der Überforderung entsteht. Digitaler Stress wird häufig auch im Zusammenhang damit untersucht, dass die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zunehmend verwischen. So sind viele Arbeitnehmer*innen einerseits in ihrem privaten Umfeld mit beruflichen Nachrichten konfrontiert, müssen jedoch andererseits auch während der Arbeitszeit den privaten Erreichbarkeitsanforderungen gerecht werden. Die wahrgenommene „Verpflichtung“, jederzeit für andere erreichbar sein zu müssen, führt auch dazu, dass Smartphones in Situationen verwendet werden, in denen dies zuvor als sozial unangemessen gedeutet wurde. So ist es heutzutage kein seltener Anblick mehr, dass eine Person während einer real stattfindenden Unterhaltung immer mal wieder zum Smartphone blickt – entweder um zu überprüfen, ob eine Nachricht eingetroffen ist oder um direkt auf eine eingehende Nachricht zu reagieren. Indem sie für andere Personen außerhalb der Unterhaltung erreichbar ist, unterbricht sie Aktivitäten in der Offline-Welt. Solche Smartphone-bedingten Gesprächsunterbrechungen wurden bereits mit Konflikten und Beziehungsunzufriedenheit in Verbindung gebracht8.

Die permanente Erreichbarkeit hat jedoch auch eine Reihe an positiven Auswirkungen, die nicht vernachlässigt werden sollten. So zeigte sich für Paare, dass die Häufigkeit von Telefongesprächen, die Nutzung sozialer Netzwerkseiten und das Versenden beziehungsweise Erhalten von Textnachrichten die allgemeine Beziehungszufriedenheit verbessern9. Die Nutzung von sozialen Netzwerkseiten wie Facebook ist besonders dann von Vorteil, wenn man geografisch getrennt voneinander ist, da man hierdurch in Kontakt bleiben und Freundschaften/Beziehungen aufrechterhalten kann10. Auch die Teilnehmer*innen der Digilog-Auftaktveranstaltung haben die Möglichkeit des „unkomplizierten, zwischenmenschlichen Austauschs über große Distanzen“ als eine große Chance des digitalen Wandels benannt. Eine weitere Chance ist, dass man heutzutage nahezu jederzeit emotionalen Zuspruch bekommen kann. Beispielsweise zeigte sich, dass vor allem einsame Personen soziale Netzwerkseiten nutzen, um mit anderen in Kontakt zu treten und sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen11. In diesem Zusammenhang wird das Smartphone auch als „first aid in the pocket“12 – quasi als Erste-Hilfe-Kasten, den man immer bei sich hat – bezeichnet. Wenn man sich über Probleme austauschen möchte, muss demnach kein gemeinsamer Termin für ein Treffen vereinbart werden. Schließlich kann man sich in Form von (Sprach)Nachrichten mitteilen, die jederzeit angehört beziehungsweise gelesen werden können. In solchen Situationen vermittelt es demnach ein gutes Gefühl, zu wissen, dass andere erreichbar sind. Die permanente Erreichbarkeit anderer Personen ermöglicht selbstverständlich auch Unterstützung inhaltlicher Art. Dies wurde insbesondere im beruflichen Kontext genannt, da man in POPC-Zeiten die Möglichkeit hat, schneller Hilfestellung und Feedback von Kolleg*innen oder Vor­gesetzten zu bekommen13. Erreichbarkeit bezieht sich letztlich nicht nur auf die Verfügbarkeit anderer Personen, sondern auch auf Informationsangebote – sei es eine Nachrichten-App, die uns durch Push-Benachrichtigungen bezüglich des aktuellen Weltgeschehens auf dem Laufenden hält oder die Wetter-App, die uns darüber informiert, dass es in einer Stunde wahrscheinlich regnen wird. Schlagworte wie „Informationen sofort verfügbar“ und „erleichterte Informationsbeschaffung“ wurden auch von den Besucher*innen der Digilog-Auftaktveranstaltungen genannt.

Doch wovon hängt es ab, ob uns die permanente Erreichbarkeit unter sozialen Druck setzt, zu Burnout und einem verringerten Wohlbefinden führt oder aber positive Auswirkungen wie eine verbesserte Beziehungszufriedenheit oder ein erhöhtes Gefühl der Zugehörigkeit hat? Entscheidend sind in diesem Zusammenhang die Nutzer*innen selbst: Ob eine hohe Anzahl an eingehenden Nachrichten, Anrufen oder Informationen zu Stress führt, wird stets vor dem Hintergrund der persönlichen Widerstandsressourcen bewertet. Hierunter wird verstanden, dass Personen einerseits unterschiedlich anfällig dafür sind, Erreichbarkeitsanforderungen als potentiell bedrohlich für ihr Wohlbefinden zu bewerten und andererseits verschiedene Fähigkeiten mit sich bringen, um mit solchen Bedrohungen optimal umzugehen.


Was heißt das nun für die einzelnen Nutzer*innen?

Ständige Erreichbarkeit hat eine Vielzahl sowohl positiver als auch negativer Konsequenzen und kann somit nicht ausschließlich als Fluch oder Segen bezeichnet werden. Aus diesem Grund sind auch häufig empfohlene Digital-Detox-Strategien, deren Name bereits impliziert, die Nutzung von digitalen Medien sei per se „Gift“, wenig ratsam. Letztlich eliminieren solche Strategien nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Auswirkungen der Mediennutzung und bringen in der Summe keinen Mehrwert für das Wohlbefinden. Vielmehr ist es die Aufgabe der Einzelnen, ein optimales Niveau zu finden, um die Vorteile der Erreichbarkeit zu nutzen, ohne mit den damit einhergehenden Nachteilen konfrontiert zu werden. Beim Aushandeln dieser Balance kann es hilfreich sein, selbstkontrolliert und achtsam mit Medien umzugehen und nur jene Aktivitäten auszuüben, die man für sich persönlich als sinnhaft wahrnimmt. Das bedeutet unter anderem, auf eingehende Push-Benachrichtigungen nicht automatisiert zu reagieren, sondern nur dann, wenn die Nutzung in keinem Konflikt mit den aktuellen Zielen (zum Beispiel: auf die Arbeit konzentrieren) steht. Die „Versuchung“, sein Smartphone in Situationen zu nutzen, in denen man es als nicht sinnhaft erachtet, lässt sich zum Beispiel mithilfe der App Forest minimieren, durch die man für einen selbst bestimmten Zeitraum seine Push-Benachrichtigungen ausschalten kann. Andere Anwendungen wie Screentime oder Menthal dienen der Überwachung des eigenen Nutzungsverhaltens und fördern somit einen achtsamen Umgang mit Medien und einzelnen Anwendungen14. Darüber hinaus können auch persönliche Absprachen (beispielsweise mit dem/der Vorgesetzten bezüglich des Nicht-Versendens von Nachrichten zu bestimmten Uhrzeiten) hilfreich sein. Um konkretere Handlungsempfehlungen aussprechen zu können, soll innerhalb dieses Teilprojekts ausgearbeitet werden, inwiefern Achtsamkeit, Selbstkontrolle und Sinnhaftigkeit den Nutzer*innen als Widerstandsressourcen dienen, um Erreichbarkeitsanforderungen als weniger bedrohlich für das Wohlbefinden zu bewerten und im Falle wahrgenommener Bedrohungen optimal mit diesen umgehen zu können.

Bitte finden Sie weitere Informationen zu unserem digilog@bw-Projekt "Digitale Mediennutzung im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Überforderung und ihre Folgen für das Wohlbefinden" hier

 

1  http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/geraetenutzung/

2  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/594993/umfrage/gruende-der-nutzung-des-mobilen-internets-in-deutschland/

3 Vorderer, P., Krömer, N., & Schneider, F. M. (2016). Permanently online–Permanently connected: Explorations into university students’ use of social media and mobile smart devices. Computers in Human Behavior, 63, 694–703. https://doi.org/10.1016/j.chb.2016.05.085

4 Vorderer, P., & Kohring, M. (2013). Permanently online: A challenge for media and communication research. International Journal of Communication, 7(1), 188–196.

5  https://www.tk.de/resource/blob/2026630/9154e4c71766c410dc859916aa798217/tk-stressstudie-2016-data.pdf

6 Klimmt, C., Hefner, D., Reinecke, L., Rieger, D., & Vorderer, P. (2018). The permanently online and permanently connected mind: Mapping the cognitive structures behind mobile Internet use. In P. Vorderer, D. Hefner, L. Reinecke, & C. Klimmt (Hrsg.), Permanently online, permanently connected: Living and communicating in a POPC world (S. 18–28). New York, NY: Routledge.

7 Hall, J. (2017). The experience of mobile entrapment in daily life. Journal of Media Psychology, 29, 148–158. https://doi.org/10.1027/1864-1105/a000228
Hefner, D., & Vorderer, P. (2017). Digital stress: Permanent connectedness and multitasking. In L. Reinecke, & M. B. Oliver (Eds.), The Routledge handbook of media use and well-being: International perspectives on theory and research on positive media effects (pp. 237–249). New York, NY: Routledge.
Reinecke, L., Aufenanger, S., Beutel, M. E., Dreier, M., Quiring, O., Stark, B., et al. (2017). Digital stress over the life span: The effects of communication load and internet multitasking on perceived stress and psychological health impairments in a German probability sample. Media Psychology, 20, 90-115. https://doi.org/10.1080/15213269.2015.1121832

8 Roberts, J. A., & David, M. E. (2016). My life has become a major distraction from my cell phone: Partner phubbing and relationship satisfaction among romantic partners. Computers in Human Behavior, 54, 134–141. https://doi.org/10.1016/j.chb.2015.07.058

9 Morey, J. N., Gentzler, A. L., Creasy, B., Oberhauser, A. M., & Westerman, D. (2013). Young adults ’ use of communication technology within their romantic relationships and associations with attachment style. Computers in Human Behavior, 29, 1771–1778. https://doi.org/10.1016/j.chb.2013.02.019

10 Vitak, J. (2014). Facebook makes the heart grow fonder: Relationship maintenance strategies among geographically dispersed and communication-restricted connections. In Proceedings of the 17th ACM conference on Computer supported cooperative work & social computing (S. 842–853). ACM.

11 Knowles, M. L., Haycock, N., & Shaikh, I. (2015). Does Facebook magnify or mitigate threats to belonging? Social Psychology, 46(6), 313–324. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000246

12 Schneider, F. M., Rieger, D., Hopp, F. R., & Rothmund, T. (2018, Mai). First aid in the pocket—The psychosocial benefits of smartphones in self-threatening situations. Paper presentation at the 68th Annual Conference of the International Communication Association, Prag, Tschechische Republik.

13  https://aok-bv.de/imperia/md/aokbv/verbraucher/gesundheitstipps/iga-report_23_teil1.pdf

14 Schneider, F. M., & Halfmann, A. (2019). Digitales Wohlbefinden und Salutogenese. merz | medien + erziehung, 63, 20–27.

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