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Gestaltung werteorientierter Internet-basierter Dienste – interdisziplinäre Herausforderung für Informatik, Wirtschaft und Gesellschaft

Alexander Mädche und Martina Zitterbart, KIT

Internet-basierte Dienste und die ihnen zugrundeliegenden technischen Systeme durchdringen in immer stärkerem Maße alle Lebensbereiche. Sie sind, wie Softwareartefakte allgemein wertebehaftet, etwa hinsichtlich Selbstbestimmung, Datennutzung, Teilhabe und Gleichbehandlung. Die KonsumentInnen solcher Dienste haben allerdings häufig kaum Möglichkeiten, diese entsprechend ihrer persönlichen Werte auszuwählen und zu nutzen. Sie sind in diesem Sinne den Dienste-Anbietern ausgeliefert, denn zwischen KonsumentInnen und Dienste-Anbietern bestehen oft mannigfaltige Wertekonflikte.  Beispielsweise steht die Gewinnmaximierung der Anbieter durch Werbeeinnahmen im Widerspruch zur Selbstbestimmung von KonsumentInnen. 

Wir verstehen Werte als abstrakte Konzepte des Wünschenswerten, sie existieren auf der persönlichen, der ökonomischen und der gesellschaftlichen Ebene. Zwischen den drei zentralen Entitäten KonsumentInnen, Anbieter und Governance-Akteure besteht ein enges Zusammenspiel im Sinne eines Werte-Akteure-Dreiecks. Die von Anbietern bereitgestellten Internet-basierten Dienste wirken mit ihren spezifischen Werteausprägungen auf die menschlichen Lebensbedingungen, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. 

Wertekonflikte existieren auch zwischen Anbietern und Governance-Akteuren sowie zwischen KonsumentInnen und Governance-Akteuren (vgl. Werte-Akteure-Dreieck mit exemplarischen Wertekonflikten). So dienen aus Anbietersicht Bündelprodukte der Kundenbindung, diese stehen jedoch aus regulatorischer Sicht im Widerspruch zu einem freien Wettbewerb. Die freie Konsumierbarkeit beliebiger Internet-basierter Dienste für Jugendliche wird beispielsweise durch den Jugendschutz eingeschränkt. 

Andere Branchen, wie der Lebensmittelhandel oder die Automobilindustrie, bieten den Konsumenten heute vielfältige Möglichkeiten zur Auswahl und individuellen Zusammenstellung werteorientierter Angebote, z.B. Bio- und FairTrade-Produkte oder emissionsarme Fahrzeuge. 

Auch im Internet sind solche Wahlmöglichkeiten vorstellbar. So könnte beispielsweise eine Konsumentin einen Internet-basierten Dienst wählen, der für die Wegewahl der Internet-Pakete vorwiegend auf ökostrombetriebene Router zurückgreift oder den man mit Geld statt mit Daten bezahlen kann. Erste Schritte in diese Richtung werden bereits heute mit Diensten wie Threema, DuckDuckGo und Posteo realisiert. Es fehlt allerdings eine grundlegende Methodik zur konsequenten technischen Umsetzung von Werten und deren Nachvollziehbarkeit durch KonsumentInnen, auf deren Basis sich ein werteorientiertes Internet der Zukunft gestalten lässt. 

KonsumentInnen sollten einfach handhabbare und vertrauenswürdige Wahlmöglichkeiten aus einer Vielfalt werteorientierter Dienste angeboten werden. Diese Dienste könnten entsprechend der jeweiligen persönlichen Werte ausgewählt bzw. konfiguriert werden. Die Werteumsetzung der Dienste sollte für die KonsumentInnen transparent gestaltet werden. In einem werte-orientierten Internet der Zukunft sollen individualisierte Dienste, die auf die Bedürfnisse der KonsumentInnen zugeschnitten sind, selbstverständlich werden und damit eine größere Differenzierung bieten als dies heute noch der Fall ist.

Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, müssen enge Wechselwirkungen zwischen informatischen, sozialen, regulatorischen und ökonomischen Aspekten berücksichtigt werden. Zahlreiche grundlegende Fragen müssen hierfür beantwortet werden, u.a.: 

  • Wie können Werte in Internet-basierten Diensten technisch umgesetzt werden? 
  • Wie erleben und erfahren KonsumentInnen entsprechende Werteumsetzungen und wie können Wertekonflikte aufgelöst werden? 
  • Wie können Governance-Akteure die notwendigen Rahmenbedingungen für eine Werteorientierung in Internet-basierten Diensten schaffen?

Hierfür müssen interdisziplinäres Wissen als theoretisches Fundament systematisch aufgebaut sowie Gestaltungsprinzipien für die Entwicklung werteorientierter Internet-basierter Dienste abgeleitet und validiert werden. 

Das Verständnis von Werten und deren Operationalisierung im Kontext Internet-basierter Dienste stellt heute ein offenes und in seiner Gesamtheit nicht verstandenes Problem dar. Aus Perspektive der KonsumentInnen muss ein besseres Verständnis über die konkrete Ausprägung persönlicher Werte, deren Erfassung und Interaktion mit werteorientierten Diensten geschaffen werden. Aus Anbietersicht stellt sich die Frage, wie eine ganzheitliche Werteorientierung auf der betriebswirtschaftlichen und technischen Seite umgesetzt werden kann und welche Implikationen sich beispielweise für das Geschäftsmodell oder die Softwarearchitektur ergeben. Eine konsequente Werteorientierung kann, wie in anderen Branchen, gegebenenfalls auch ein Differenzierungsmerkmal darstellen und beispielsweise in Form von Zertifikaten auch aktiv im Markt kommuniziert werden. Schließlich wird zu einer erfolgreichen Umsetzung auch die Einbeziehung von Governance-Akteuren benötigt, sie spielen hinsichtlich der Reflektion und Einbettung werteorientierter Dienste in gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine wesentliche Rolle. 

Es müssen Methoden und Werkzeuge für die Bereitstellung werteorientierter Dienste bereitgestellt werden. Existierende Methoden wie beispielsweise das Value-Sensitive Design (VSD) liefern hier einen guten Startpunkt, müssen jedoch stärker mit einer technologischen Perspektive, wie beispielsweise dem Usability, Requirements und Software Engineering sowie mit einer betriebswirtschaftlichen Perspektive verknüpft werden. Es wird eine übergreifende, interdisziplinäre Methode zur sozio-technischen Gestaltung werteorientierter Dienste unter Berücksichtigung technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Aspekte benötigt. Eine besondere interdisziplinäre Herausforderung für die Umsetzung der Vision liegt in der Balance zwischen sozialen und technischen Mechanismen und der Integration von Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen (z.B. Informatik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, Rechtswissenschaft und Ethik). Die außerordentlich hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas geht einher mit einer gesellschaftlichen Notwendigkeit, die Gestaltung werteorientierter Internet-basierter Dienste unabhängig von spezifischen Anbieterinteressen grundlegend zu erforschen und voranzutreiben.   

Im Rahmen von digilog@bw widmen wir uns im Teilprojekt „Privatsphären-bewusste nutzerzentrierte Internet-basierte Dienste“ der spezifischen Fragestellung, wie die Bereitstellung individualisierter Internet-basierter Dienste bei gleichzeitiger Gewährung der Privatsphäre erfolgen kann.  Im Teilprojekt werden hierzu innovative Prototypen zur Demonstration und potenziellen Auflösung von Wertekonflikten zwischen Individualisierung und Privatsphäre realisiert und im Dialog mit BürgerInnen evaluiert. 

Partner

Gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg aus
Mitteln der Landesdigitalisierungsstrategie digital@bw.