Digiloglounge
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß

Innovative Wissensvermittlung in der digitalisierten Gesellschaft – die digiloglounge

Sabine Faller, ZKM

Aktuell erlebt der Prozess der Digitalisierung aufgrund der durch das COVID-19-Virus notwendig gewordenen Neuorganisation des öffentlichen Lebens eine enorme Beschleunigung. Lernen mit und durch Technologie sowie über Technologie ist gefragt (vgl. Huber et al. 2020). Spätestens seit Marshall McLuhan und seiner Postulierung des Elektronischen Zeitalters ist die digitale Transformation unserer Gesellschaft als technologisches wie auch kulturelles Phänomen einzuordnen. Zahlreiche Philosoph_innen haben den Zusammenhang zwischen medialem Wandel und kulturellen Veränderungen theoretisch beleuchtet. So hat nicht zuletzt Henry Jenkins die Entwicklung hin zu einer Partizipativen Kultur mit der Ästhetik sozialer Medien und den Möglichkeiten digitaler Technologien in Verbindung gebracht.

In einer offenen und digitalisierten Gesellschaft befinden sich Museen, Kulturarbeit und insbesondere die Kunstvermittlung an der Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, erweiterten Medienkompetenzen und neuen sozialen Praktiken. Die Digitalisierung hat somit nicht nur unsere Gewohnheiten der Wahrnehmung, sondern auch die der Wissenserschließung verändert (vgl. Kerres 2016).

Als Zentrum für Kunst und Medien hat das ZKM frühzeitig auf die rasanten sozio-technologischen Veränderungen reagiert und die originären Aufgaben des Museums erweitert. Es gilt zum einen, sich mit der Forderung nach einer neuen Machtverteilung auseinanderzusetzen – hin zu Teilhabe, Partizipation, Ko-Kreation, horizontalem Wissensaustausch und produktiver Beteiligung. Zum anderen ist es notwendig, ein umfassendes Medienbewusstsein im Sinne der Medienkompetenz zu fördern (vgl. Baacke 1997).

Als wesentlicher Faktor kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe spielen digitale Medien eine zunehmend wichtige Rolle zur „Ermöglichung der informierten, aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung der Welt“ (Hafer et al. 2016, S. 9). Die Kommunikationswissenschaft beschreibt die Mediatisierung darüber hinaus als Metaprozess, vergleichbar mit dem Begriff der Globalisierung. Beide beeinflussen langfristig die Menschheit in ihrer sozialen und kulturellen Entwicklung (vgl. Krotz 2007). In diesem Kontext müssen sich Bildungsinstitutionen wie Museen, auf praktischer wie auch theoretischer Ebene, mit der Digitalisierung auseinandersetzen (vgl. Helbig 2016).

Der vorliegende Artikel fragt nach den Möglichkeiten des Teilens von Wissen sowie nach neuen Beteiligungs- und Kommunikationsformen innerhalb des gesellschaftlichen Wandels hin zu einer Ferngesellschaft (vgl. Weibel 2020). Mit dem interdisziplinären Forschungsprojekt digilog@bw wird ein praktisches Beispiel aus der Wissenschaft vorgestellt, das zeigt, wie analoge und digitale (Wissens-)Vermittlung im Zeitalter der Digitalisierung gelingen kann.

Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe wurde 1989 gegründet, um die künstlerischen Möglichkeiten neuer Technologien experimentell zu erproben und die gesellschaftliche Diskussion über die kulturellen, sozialen und politischen Folgen des technologischen Wandels anzuregen. Seit mehr als 30 Jahren widmet es sich in verschiedenen Formaten dem Thema Digitalisierung und entwickelt neue Vermittlungsformate, die auf den grundlegenden Wandel in den Praktiken des Wissenserwerbs, der Kommunikation sowie der Bildung von Gemeinschaft in den vergangenen Jahren reagieren. Beispielhaft hierfür war das Projekt Open Codes. Leben in digitalen Welten (2017-2019), in dem Ausstellungsraum gleichzeitig Co-Working-Space und Veranstaltungsort war und an dem sich unterschiedlichste gesellschaftliche Akteur_innen regelmäßig trafen, um voneinander zu lernen und zu diskutieren. In den zwei Jahren entstand eine neue Öffentlichkeit mit einem gemeinsames Anliegen: die Digitalisierung mitzugestalten.

 

digilog@bw - Digitalisierung im Dialog

Wie Wissen teilen, um digitale Mündigkeit zu fördern und Wissen einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen?

Das ZKM entwickelt zusammen mit dem Forschungsverbund digilog@bw eine digital-analoge Vorgehensweise zur Vermittlung der wissenschaftlichen Forschung und der Etablierung eines Austauschs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Durch über 30 Jahre Erfahrung in der wissenschaftlichen wie auch handlungsorientierten Vermittlung digitaler Inhalte verfügt das ZKM über innovative Best-Practice-Beispiele, die als Grundlage dienen, das neue ZKM-Format der digiloglounge (weiter-)zu entwickeln. Die digilounge verbindet wissenschaftliche Inhalte und künstlerisches Experiment: Digitale Kunstformen stehen in enger Verbindung mit gesellschaftlichen Entwicklungen und technologischen Innovationen. Anhand künstlerischer und wissenschaftlicher Objekte werden Einblicke in aktuelle Themen der Forschungsprojekte gegeben. Interaktive Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen und Vortragsreihen eröffnen kommunikative Situationen mit der Öffentlichkeit. So zum Beispiel die Online-Diskussionsreihe #digilogloungedigital. Parallel zum Livestream werden den Expert_innen in einem begleitenden Chat, über den Messengerdienst Telegram, inhaltliche Fragen über gesellschaftlich relevante Themen gestellt. Durch den direkten Dialog mit den Forscher_innen wird ein Blick hinter die Kulissen der Wissenschaft eröffnet und ein vertiefter inhaltlicher Austausch ermöglicht.

Künstlerische Werke, Video-Interviews mit beteiligten Wissenschaftler_innen sowie Infografiken ermöglichen einen lebensnahen Transfer der Forschungsfelder. Soziale Medien und digitale Kanäle (Webseite, Facebook, Instagram, Twitter u.a.) erweitern die öffentliche Reichweite und laden Interessierte dazu ein, am öffentlichen Diskurs teilzuhaben, Fragen zu stellen und sich am kollaborativen Aufbau von Wissensressourcen zu beteiligen.

Mit einem Netzwerk an Künstler_innen, Kulturschaffenden und öffentlichen Gruppen, die sich mit Themen der Digitalisierung beschäftigen, werden weitere neuartige Wege der partizipativen, digitalen Wissensvermittlung eingeschlagen, darauf abzielend, demokratische Handlungsfähigkeit durch Teilhabe an Forschung und Wissenschaft zu stärken und Medienbildung als Schlüsselkompetenz unserer heutigen Mediengesellschaft zu fördern (vgl. MKJS 2020). Hierzu werden internetbasierte Szenarien mit modernen Technologien und Social Media Tools für qualitative, individualisierte und innovative Vermittlungsformate des Blended Learning entwickelt und erprobt. Aspekte des Lehrens und Lernens aus den Bereichen der Mediendidaktik wie auch der medialen Instruktion werden eingesetzt, um zusätzliche Gruppen mit einem individualisierten, virtuellen Angebot zu aktivieren und für die Wissenschaft zu begeistern. Didaktische Grundlagen und kreative Impulse bilden hierbei Entwicklungstheorien und Lernziele (vgl. Bloom 1956), das Technologieakzeptanzmodell zur Nutzung von Technologie (vgl. Davis 1996), wie auch die vier Modellstufen des SAMR Modells, in denen die Neubelegung, Änderung, Erweiterung und Ersetzung von Analogem durch digitale Medien beschrieben wird (vgl. Puentedura, Wilke 2016). Neben dem Lernen mit digitalen Medien wird durch die beschriebenen Methoden und Modelle insbesondere auch dem Lernen über digitale Medien Raum geben, ganz im Sinne des erweiterten Lernbegriffs von Heinz Klippert.

Mit der geplanten analogen Verortung des Vermittlungsprogramms im Ausstellungsraum, die aufgrund von COVID-19 verschoben werden musste, wird ebenso der Werkstattgedanke von Constanze Kirchner und Georg Peez vertieft, den realen Ort als Werkstatt, als künstlerisches, begeh- und, benutzbares, interaktiv kommunizierbares Kunstwerk zu nutzen. Die digiloglounge bietet hierbei individuelle Anknüpfungspunkte, um Interessen und Vorwissen selbst einzubringen, um neue Technologien auszuprobieren und in ihrer Wirkung zu erproben. Dies ganz im Sinne des Partizipatorischen Museums (Simon 2010), als Bürger_innenforum, Begegnungsstätte und Austauschort für Lai_innen und Expert_innen.

 

Digitale Bildung - Neue Perspektiven der Wissensvermittlung?

Sprechen wir von digitaler Bildung als Beteiligungsdimension (vgl. Piontek 2016), so kann aus pädagogischer Sicht entschieden werden, auf welcher Ebene Partizipation stattfinden soll: im Internet oder im analogen (Museums-)Raum. Mit dem Hintergrund, dass Kommunikation, Interaktion und Partizipation (Hannig 2016) in Sozialen Medien und Medienpädagogik auf den gleichen Prinzipien basieren, bieten digitale Räume besondere Potenziale: Virtuell-digitale Räume können ortsunabhängig als erweiterter Raum, wie auch als Informations-, Interkations- und Bildungsmedium genutzt werden.

Wenn Matthias Hamann beschreibt, dass für Besucher_innen von Museen die Trends Authentizität, Globalisierung und Individualisierung entscheidend sind, können, ausgehend von diesem Grundverständnis, insbesondere digitale Formate eine Art Netzwerkgesellschaft fördern, wie sie der Soziologe Manuel Castells definiert, in der Wissen aktiv getauscht und erweitert werden kann.

Interessant an dieser Stelle ist auch das Modell von Paul Anderson, der sechs neue Formen der Onlinekommunikation beschreibt, die direkt auf museale Vermittlungsformate übertragen werden können: Durch User_innen produzierte Inhalte (1: User Generated Content), die Nutzung von Wissen verschiedener User_innengruppen (2: Crowd), eine wachsende Datenmenge (3: Data), eine angeregte  Zusammenarbeit (4: Participation) und neue Netzwerke (5: Network), die zu mehr Offenheit führen (6: Openess).

Digitale Bildungsangebote erweitern die Definition des Museums des 21. Jahrhunderts. Mit Projekten wie digilog@bw ist das Museum nicht mehr nur ein Ort des Sammelns, Bewahrens und Präsentierens – es ist auch ein Ort der Begegnungen, eine Art Open-Source-Gemeinschaft, in der Menschen ihre Kompetenzen offen und gemeinsam erweitern und stärken können, um kreativer und wissensbasierter zu handeln (vgl. Walz 2016).

 

Fazit

Nach wie vor müssen Kultureinrichtungen neue Strategien entwickeln, um auf die Corona-Pandemie zu reagieren. Denken wir an dieser Stelle an den partizipatorischen Anspruch von Nina Simon. Hier ermutigen insbesondere die digitalen Formate der digiloglounge in einen offenen Dialog zu treten. Aktive Mitbestimmung und Mitgestaltung digitaler Transformationsprozesse stärken die digitale Souveränität und fördern langfristig die Medienkompetenz. Ein Impuls, der in der analogen wie auch digitalen Vermittlungsarbeit genutzt werden sollte – damit sich insbesondere Museen als informelle, soziale Orte für lebenslanges Lernen etablieren können.

Die im Museumsraum wie auch im digitalen Raum verortete digiloglounge beinhaltet eine Vielzahl an pädagogischen Potentialen für das Lernen mit und über digitale Medien und illustriert folglich ein zukunftsorientiertes Modell der innovativen Wissenschaftsvermittlung auf dem Weg in eine mündige digitale Gesellschaft.

 

Literatur:

Anderson, Paul (2007): What is Web 2.0? Ideas, technologies and implications for education. JISC Technology & Standards Watch. http://21stcenturywalton.pbworks.com/f/What%20is%20Web%202.0.pdf (abgerufen am 30.09.2020).

Baacke, Dieter (1997): Medienpädagogik. Grundlagen der Medienkommunikation. Band 1. Tübingen: Niemeyer.

Bloom, Benjamin (1956): Taxonomiestufen nach BLOOM. Päda.logics! Ausbildungsmethoden - Methodik und Didaktik für Lehrbetriebe. URL: https://paeda-logics.ch/wp-content/uploads/2014/10/Taxonomiestufen_Bloom.pdf (abgerufen am 01.10.2020).

Castells, Manuel (2017): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Wiesbaden: Springer, S. 567.

Davis, F. D./Venkatesh, V. (1996):Technologieakzeptanzmodell (TAM). Critical Assessment of Potential Measurement Biases in the Technology Acceptance Model: Three Experiments, International Journal of Human-Computer Studies, 45, 1, 19–45.

Hafer, Jörg/Mauch, Martina/Schumann, Marlen (Hrsg.)(2019): Teilhabe in einer digitalen Bildungswelt. Teilhabe in der digitalen Bildungswelt. Medien in der Wissenschaft, Band 75. Waxmann Verlag. S. 9.

Hamann, Matthias (2016): Lebenslanges Lernen im Museum. In: Commandeur, Beatrix/ Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed. S. 236.

Hannig, Miriam (2016): Social Media und Museum. Möglichkeiten der Kommunikation, Interaktion und Partizipation zwischen Museen und NutzerInnen. In: Wenrich, Rainer/Kirmeier, Josef (Hrsg.): Kommunikation, Interaktion und Partizipation. Kunst- und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts. München: kopaed. S. 141.

Helbig, Christian (2016): Partizipation und Kulturelle Medienbildung in einer digitalen Medienwelt. URL: https://www.kubi-online.de/artikel/partizipation-kulturelle-medienbildung-einer-digitalen-medienwelt (abgerufen am 30.09.2020).

Huber, Stephan Gerhard/Günther, Paula Sophie/Schneider, Nadine/ Christoph,Helm/ Schwander, Marius/Schneider, Julia A./Pruitt, Jane (2020): COVID-19 – aktuelle Herausforderungen in Schule und Bildung. Erste Befunde des Schul-Barometers in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Münster: Waxmann.

Jenkins, Henry/Purushotma, Ravi/Weigel, Margaret/Clinton, Katie/Robinson, Alice. J. (2009): Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century. URL:  https://www.issuelab.org/resources/830/830.pdf. S. 7 (abgerufen am 30.09.2020).

Kerres, Michael (2016): E-Learning vs. Digitalisierung der Bildung: Neues Label oder neues Paradigma? In: Hohenstein, Andreas/Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Expertenwissen aus Wissenschaft und Praxis. Köln: Fachverlag Deutscher Wirtschaftsdienst. S. 3.

Kirchner, Constanze/Peez, Georg (Hrsg.) (2001): Werkstatt: Kunst. Anregungen und Erfahrungen zu ästhetischen Lernprozessen im Werkstattunterricht. Hannover: BDK-Verlag.

Krotz, Friedrich (2007): Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. Wiesbaden: Springer VS.

Klippert, Heinz (1996): Methodentraining. Weinheim: Beltz Verlag.

McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin (2016): Das Medium ist die Message. Ein Inventar medialer Effekte. Zusammengestellt von Jerome Agel, 4. Aufl.. Stuttgart: Tropen.

MKJS. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. URL: http://www.km-bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Medienbildung (abgerufen am 30.09.2020).

Piontek, Anja (2016): Partizipative Ansätze in Museen und deren Bildungsarbeit. In: Commandeur, Beatrix/ Kunz-Ott, Hannelore/Schad, Karin (Hrsg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen. München: kopaed. S. 201.

Puentedura, Ruben/Wilke, Adrian (2016). URL: http://homepages.uni-paderborn.de/wilke/blog/2016/01/06/SAMR-Puentedura-deutsch (abgerufen am 01.10.2020).

Simon, Nina (2010): The Participatory Museum. Santa Cruz, CA: Museum 2.0.

Walz, Markus (Hrsg.) (2016): Handbuch Museum. Geschichte – Aufgaben – Perspektiven. Stuttgart: J. B. Metzler Verlag.

Weibel, Peter (2020): Das Zeitalter der Nähe geht zu Ende. Hübl, Michael. Karlsruhe: Badische Neueste Nachrichten (27.03.2020). S. 14.

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